Bericht zur 1. Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel

Aktionskonferenz 26. bis 27. Februar 2016

Am Freitag früh startete, ich leicht nervös, erst mal Richtung Goldbach, um meine Mitfahrerin Christine Körner von der BI- Aschaffenburg abzuholen. Dann ging es, wie Christine meinte „ab nach Kassel!“

Nach unserem Eintreffen und der Registrierung im Campus Center der Uni, lauschten wir in Hörsaal eins, zuerst einem kurzen Willkommensgruß durch Nelly Grotefendt, der Mitbegründerin von TTIP-Unfairhandelbar und Clara Buer von Greenpeace, und schließlich der Begrüßungsrede unseres Gastgebers, Herrn Prof. Dr. Christoph Scherrer, Leiter der Uni, und des Fachgebietes „Globalisierung und Politik“. Nicht ohne Stolz, erklärte er, dass Kassel eine gewisse Tradition im Kampf um Arbeitsrechte habe, quasi der Ausgangsort des Arbeitnehmerrechts auf „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“ sei. In einer Kasseler Lokomotivenfabrik habe man vor vielen Jahren um dieses Recht gekämpft, und gewonnen. Weiterhin erwähnte er, dass die USA, Japan und die EU durch TPP in direkte Konkurrenz gestellt hätten, was bereits dazu führe, dass der Datenschutz entfällt und der Patentschutz extrem ausgeweitet worden sei.

Aktionskonferenz 26. bis 27. Februar 2016

Dann folgte die erste Podiumsdiskussion (von Links)

  • Georg Janßen – Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Ein sehr leidenschaftlicher Gegner der Abkommen!
  • Margot Rieger – Stop-TTIP- Berchtesgadener Land / Traunstein,
  • John Hilary- War on Want, aus London,
  • Jutta Sundermann- Attac- Mitbegründerin und Moderatorin des Podiums,
  • Ernst- Christoph Stolper – BUND
  • Petra Pinzler – Journalistin und Buchautorin
  • Martina Römmelt-Fella – KmU gegen TTIP und
  • Stefan Körzell- DGB.

Bereits zu Beginn seiner Ausführungen bestätigte Stefan Körzell die Aussage von Prof. Scherrer im Bezug auf japanische Firmen. Er klagte, dass in den letzten Monaten über 80 schwere Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte bei Betriebsräten von Hyundai eingegangen und an die Geschäftsleitung weitergereicht worden seien. Nach der Klageeinreichung und mehreren Anfragen habe es von dort keinerlei Kommentar gegeben, man habe die Klagen schlicht ignoriert, nach dem Motto „gelesen,gelacht,gelocht“! Derartiges sei immer häufiger zu beobachten, Einwände von Betriebsräten liefen in solchen Betrieben inzwischen häufig schlicht ins Leere. Martina Römmelt-Fella erklärte, dass immer mehr KmU’s große Bedenken hätten, diese aber noch immer nicht wirklich wahrgenommen würden von den Verhandlern. Nach wie vor würden die KmU’s als Profiteure und Befürworter der Freihandelsabkommen bezeichnet, dies sei jedoch überwiegend nicht der Fall.

Wenn die Abkommen ratifiziert würden, hätten zwar amerikanische oder kanadische Firmen einen einfacheren Zugang zum europäischen Markt, umgekehrt blieben die bekannten Probleme aber weitgehend erhalten, da es in den USA keine einheitlichen Produktanforderungen gebe und dies wohl auch nach TTIP so bleibe.

John Hilary erklärte, er werde deutsch sprechen, nicht weil sein deutsch fehlerfrei sei, sondern weil er zeigen wolle, dass auch Briten „gute Europäer“ sein können. Damit hatte er schon mit seinem ersten Satz reichlich Sympathiepunkte gesammelt. Ihr Widerstand, der übrigens viele der deutschen Initiativen kopiere, nenne sich 38°, das kennzeichne die Hangneigung, ab der eine Lawine ausgelöst werden könne, ähnlich, wie dies bei den Freihandelsabkommen der Fall sei. Übrigens gäbe es auch in GB inzwischen etwas wie KmU gegen TTIP, nämlich Business against TTIP.

John machte deutlich wie unsinnig der Drang nach globalem Handel oft sei, so exportiere England jährlich 150 Mio Tonnen Schweinefleisch und es importiere pro Jahr ebenfalls 150 Mio Tonnen Schweinefleisch!

Petra Pinzler forderte, man müsse den Protest auch auf andere Freihandelsabkommen, auch bestehende, ausweiten, damit endlich die verheerenden Folgen auch jener bekannt würden. Sie wies auf den Film „Gefährliche Geheimnisse“ hin. Wir sollten unsere Demos zentralisieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sich der Widerstand verläuft.

Ganz anderer Meinung war Margot Rieger, sie sagte, wir könnten nicht ewig mit einer Steigerung der Teilnehmerzahlen bei zentralisierten Demos rechnen. Und welche Auswirkung habe dann wohl die Meldung, dass plötzlich weniger Menschen teilnähmen. Sie plädierte eher für zentralisierte Demos. Auch brächten mehrere Großdemos im Jahr die kleineren Bündnisse an ihre Grenzen, sowohl finanziell als auch organisatorisch. Sie und ihr Mann seien inzwischen sozusagen „Vollzeitaktivisten“, und das gehe vielen anderen sicher ähnlich.

Ernst- Christoph Stolper hingegen meinte, wir müssten eigentlich beides machen. Großdemos, um zu zeigen, dass wir nicht zu ignorieren sind und zentral, dennoch immer präsent sein. Wichtig sei es auch, vermehrt Rundfunkräte anzuschreiben, um objektivere Berichterstattung zu besseren Sendezeiten einzufordern. Gut fände er es auch, uns deutlicher europäisch zu vernetzen, der Widerstand in Deutschland sei großartig, vielleicht könnten wir andere Länder, die nicht so erfolgreich sind, mitnehmen. Er empfahl uns „Sehr ungeduldig zu sein und dennoch viel Geduld zu haben!“

Aktionskonferenz Kassel

Die beiden Workshops des ersten Tages haben mich nicht wirklich begeistert, es wurde viel debattiert und für meinen Geschmack zu wenig neues Wissen vermittelt. Ich hatte mir mehr detaillierte und fundierte Information erhofft, stattdessen wurde bereits bekanntes, in kleinen Teilen wissenschaftlich aufbereitet und analysiert. Vielleicht hatte ich mir aber auch einfach die falschen Workshops ausgesucht.

Aus dem 1. WS „Freihandelsabkommen stoppen! Geopolitische und ökonomische Hintergründe des Freihandelsabkommens TTIP“ nahm ich lediglich die Bestätigung meiner Befürchtungen, nämlich, dass nach einem Zustandekommen von TTIP auch die Abkommen TPP und NAFTA direkte Auswirkungen auf Europa haben würden, mit. Außerdem erfuhr ich, dass Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, noch eine Staatsquote von 41% hat, dies stelle ein gewaltiges Privatisierungspotential dar, das nicht nur in den USA Begehrlichkeiten geweckt habe. In dem 2.WS, in dem es um „Gentechnik und die Gefährdung unseres Vorsorgeprinzips“ ging, erfuhr ich, dass der Grundsatz des Vorsorgeprinzips aus dem Jahr 1981 stammt, verankert wurde es dann endgültig 2007 im Lissabon- Vertrag. Ziemlich genau einen Monat vor den ersten TTIP Verhandlungen wurden in den USA der „Impact of the Precantionary Principle on Feeding Current and Future Generations“ veröffentlicht. Dies war eine generelle Infrage -stellung des Vorsorgeprinzips. Amerika erklärte hiermit, dass der Hunger auf der Welt, im Grunde eine Auswirkung des Vorsorgeprinzips sei. Damit haben sie eigentlich schon damals eine unmissverständliche Absage an das Vorsorgeprinzip erklärt. Die Aussage vieler unserer Politiker, dieses Prinzip würde durch die FHA nicht angetastet, wird hierdurch geradezu lächerlich. Außerdem riet uns der Referent, uns zwei Kürzel einmal näher anzuschauen.

SPS – Sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen und

TBT – Übereinkommen über technische Handelshemmnisse

dazu hatte ich allerdings noch nicht die nötige Zeit.

Als eine Aktivistin den Referenten fragte, ob durch die FHA eventuell die Verwendung von Biosiegeln in Frage gestellt würde, meine dieser, es gäbe aktuell den Fall „Delphin-freundlicher Thunfisch“ Mexiko-USA. In diesem wurde kürzlich, das Label als Handelshemmnis eingestuft. Folglich sei anzunehmen, dass das bei den Biolabels ebenso gehandhabt werden wird. Gefährlich sei auch das Thema „Better Regulation“. Hier versuche die Industrie bereits jetzt, von ihr als überflüssig erachtete Vorschriften, zum Beispiel aus dem Arbeitnehmerrecht, aus Umwelt- und Sozialstandards im Rahmen von Bürokratieabbau , einfach zu entfernen.

Am Samstag morgen hielt zuerst Melinda ST. Louis von der US- amerikanischen NGO Public Citizen einen Vortrag. Da dieser auf englisch gehalten wurde, und mein Englisch nicht so gut ist, konnte ich leider nicht alles verstehen. Sie berichtete, dass die Bürger Amerikas erheblich unter den Auswirkungen von NAFTA und TPP zu leiden hätten. Der Widerstand gegen TTIP sei relativ gering, denn die meisten Menschen sagten sich, es könne wohl kaum noch schlimmer werden. Deshalb setzten amerikanische Campagnen all ihre Hoffnung auf den Widerstand der Europäer. TPP habe bereits jetzt schlimmere Auswirkungen als erwartet. Die großen Profiteure seien zum Beispiel die Tabakkonzerne wie Philip Morris, die jede Gelegenheit nutzten, erlassene Gesetze und Vorschriften auszuhebeln. Es sei kaum noch möglich seinen Widerstand auf die Straße zu tragen, weil man mit Strafen rechnen müsse, deshalb seien sie dazu übergegangen, Protestplakate auf die Innenseite ihrer Fenster zu kleben, dafür könne man sie noch nicht belangen. Melinda sagte, sie fürchte, dass wir in Deutschland leider keine wirkliche Ahnung davon hätten, was wir durch die FHA alles verlieren würden. Unsere guten Gesetze, unsere hohen Standards, all dies würde unweigerlich verlorengehen. Egal was uns Politiker oder Befürworter sagten, es sei absolut nicht zu erwarten, dass in irgendeinem betroffenen Staat ein höherer Standard anerkannt würde! Es gebe nur ein Ziel, alle Standards auf das niedrigste Level abzusenken. Wir sollten uns über eines im Klaren sein, Amerika hat kein Interesse an einem TTIP- Light, sie werden das Maximale durchdrücken und zwar am liebsten noch in 2016! Denn Obama brauche dieses Abkommen, noch vor Ende seiner Amtszeit, er habe bisher einfach zu wenig vorzuweisen. Es sei sicher, dass er mit aller Macht versuchen werde das Abkommen zur Ratifizierung zu bringen.

Direkt danach begann die zweite Podiumsdiskussion

  • Jürgen Maier – Forum Umwelt und Entwicklung und Moderator
  • Alexis Passadakis – Attac
  • Maritta Strasser – Campact
  • Olaf Zimmermann – Deutscher Kulturrat
  • Pia Eberhardt – CEO

Aktionskonferenz Kassel

Der Moderator Jürgen Maier äußerte gleich zu Beginn des Podiums seine Bedenken, dass nicht nur TTIP und CETA ein Problem darstellten, sondern auch die Politik, die derartiges ermögliche. Wer den Bürgern seines Landes derartige Völkerrechtsverträge zumute, handele nicht in deren Sinn und wie Umfragen zeigten, auch nicht in deren Auftrag. Wer also ermächtige sie dazu?!

Auch Maritta Strasser forderte, mehr Druck auf die Politiker auszuüben, niemand dürfe glauben, dass er oder sie für die Abkommen stimmen könne und anschließend nicht zur Verantwortung gezogen werde. Wir müssten bereit sein, für dezentrale, kurzfristige Aktionen vor Parteibüros.

Es sei jetzt wichtig permanent Präsenz zu zeigen.

Olaf Zimmermann sitzt als Kulturrat im Beirat zu TTIP und CETA, im Bundestag. Er sagt, es sei wichtig, zu beobachten, was die Befürworter wollen, um Angriffspunkte zu erkennen. Die SPD sei über dieses Thema zutiefst zerstritten, deshalb gelte es, sie permanent zu bearbeiten, er selbst sei seit 20 Jahren SPD – Mitglied. Er sei sich sicher, wenn wir die Abkommen stoppen würden, würden diese Verbünde, die sich jetzt gegründet hätten, nicht wieder im Untergrund verschwinden. Wer sich hier engagiert hat, wird auch künftig Politik anders gestalten wollen.

Pia Eberhardt sieht das Ganze alles andere als rosig, sie sagt, wir müssen uns darauf einstellen, dass die Verträge durchkommen könnten. Aber auch dann müssen wir unbedingt dranbleiben. Wir müssen jetzt breiter werden und eine Verabschiedung so teuer wie möglich machen. Wir müssen uns stärker europäisch vernetzen, um die Länder zu informieren und zu überzeugen, die dafür sind. Wir müssen unser Wissen vertiefen, uns in die Verträge einarbeiten, nicht nachlassen!

Jürgen Maier fragte, Wie erhält man die Kraft, im Kampf gegen eine Fata Morgana?

Es gibt da noch ein Problem, meinte Alexis Passadakis, unser Widerstand hat noch nicht die Tiefe, um zu zeigen, dass wir es ernst meinen mit dem Willen zur Veränderung, deshalb werden wir immer wieder auf die Seite der Rechten geschoben. Wir müssen klar artikulieren, was wir wollen, damit sich Politiker nicht darauf ausruhen können, wir wüssten nicht wogegen wir demonstrieren.

Marita Strasser empfahl, wer jetzt wählen geht, sollte genau aufpassen, wer wirklich gegen die Abkommen ist, wir müssen die Gegner voranbringen. Aber Vorsicht, bei den Grünen gibt es durchaus auch Befürworter, in BW besteht die Gefahr für schwarz- grün!

Pia Eberhardt meinte abschließend, der Marsch nach Brüssel wird notwendig werden. Aber Brüssel ist extrem schwierig für Aktionen, es wird uns viel Energie kosten. Denkt daran, Europaabgeordnete zu bearbeiten, trotz dem großen Widerstand in Deutschland, haben fast alle SPD abgeordneten für CETA gestimmt.

Von meinem 3. Workshop gibt es nicht viel zu berichten, wir haben in Rollenspielen geprobt, wie man Politiker ansprechen könnte um sie zu überzeugen. Das allgemeine Resümee daraus lautete, einen Politiker zu einer klaren Aussage zu bewegen, ist ungefähr so leicht, wie einen Aal mit einer Hand zu halten.

Abschlusspodium:

  • Nelly Grotefendt – Moderation
  • Melinda St. Louis – Public Citizen
  • Monica Vargas – Anti TTIP Kampagne Catalunya
  • Sven Hilbig – Brot für die Welt
  • Clara Buer – Greenpeace

Da sich hier vieles aus den vorherigen Panels wiederholt hat, möchte ich nur noch zwei Aussagen anfügen.

Zum einen von Sven Hilbig, er wies auf einen erheblichen Einbruch des Bruttosozialproduktes in Afrika hin. Dort habe man Versprochen, durch die Abkommen würde ein enormer Verdienst durch Tourismus möglich. Inzwischen werde aber immer deutlicher, dass speziell dort, wo Tourismus möglich wäre, sich Firmen eingekauft haben die in großem Rahmen Rohstoffabbau zu betreiben, selbst in Naturschutzgebieten. Die Folge sei eine extreme Zerstörung der Natur, was wieder viele Menschen zur Flucht treibe. Menschenrechte tauchten in keinem der Abkommen mehr auf, sie seien danach quasi nicht mehr existent.

Auch Monica Vargas beklagte, dass sich die Agenda der Konzerne umgekehrt habe, Menschenrechte hätten keine Priorität mehr. Konzerne müssten verpflichtet werden, beschlossene Abkommen einzuhalten.

Melinda warnte zum Ende noch, vor der „Fast Trace Methode“, Abkommen könnten von den USA dadurch im Nachhinein in großem Rahmen abgeändert werden. Wenn Verhandlungspartner das in aller Konsequenz wüssten, würden sie wohl kaum verhandeln.

Angelika Nortmann